Sacha Johann

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"KOMMT SCHON GUT" - WENN OPTIMISMUS IN DIE SACKGASSE FÜHRT

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In meinen Seminaren und Coachings spielt das Thema positives Denken eine wichtige Rolle. Ich selbst bin ein Befürworter davon, positiv zu denken und die Dinge optimistisch zu sehen. Daran arbeite ich auch mit meinen Klientinnen und Klienten. Positives Denken wirkt sich in vielen Bereichen auch positiv aus: Das allgemeine, ja, sogar das körperliche Wohlbefinden verbessert sich, die Motivation, ein Ziel zu verfolgen, steigt, Ängste werden schneller abgebaut, die Annahme und Wirkung von Affirmationen wird verstärkt.

Auch positiv eingestellte Menschen erfahren Niederlagen, fühlen sich manchmal unwohl und niedergeschlagen. Ein positiver Mensch sucht jedoch nach einer Lösung und ist danach bestrebt, etwas dafür zu tun, damit sich die Dinge wieder zum Guten wenden.

Allerdings sollte man positives Denken wie so vieles im Leben in der richtigen Dosis praktizieren. Es gibt im Leben nun mal Situationen, die sich nicht einfach durch Zuversicht und eine "Rosa Brille Einstellung" ändern lassen.

Zwanghaft aufgesetzter Optimismus führt zu einer verzerrten Wahrnehmung und endet oft in Selbsttäuschung und in der Enttäuschung anderer. Leidenschaftliche Optimisten motivieren und begeistern ihre Mitmenschen. Gleichzeitig wecken sie aber auch Erwartungen und Hoffnungen.

Die Spreu trennt sich vom Weizen, wenn die ersten unwiderruflichen Fehler oder Versäumnisse eintreten: Der realistisch eingestellte Optimist erkennt den Fehler und die damit verbundenen Herausforderungen. Er setzt sich mit der Situation auseinander, analysiert und sucht konkrete Lösungen.

Ein Zweckoptimist umschifft das Problem. Oder er negiert es einfach. Meist gelingt es ihm damit, den Schein für eine bestimmte Zeit zu wahren. Es gibt immer neue Erklärungen und Versprechungen: „Das ist überhaupt kein Problem“, „Kommt schon gut“, „Das löst sich von selbst“, „Keine Sorge, ich hab das im Griff“, „Sieh es einfach positiv, dann kommt alles gut“ – man täuscht zuerst sich selbst und damit bewusst oder unbewusst sein Umfeld. Enttäuschungen nehmen zu, wenn Prognosen nicht eintreffen oder gemachte Versprechungen nicht eingehalten werden. Und Menschen wollen nun mal nicht enttäuscht werden.

Ein Klient war ein ausgesprochener Optimist – zu optimistisch, wie er erfahren musste. Oft hatte er Fehler und kritische Situationen verdrängt, bis es kein Zurück mehr gab und ihm das Wasser bis zum Hals stand. Meistens war das Ganze schon so weit fortgeschritten, dass die negativen Konsequenzen nicht mehr abzuwenden waren. Das überforderte ihn zunehmend.

Zudem stellte er fest, dass sich Menschen mehr und mehr von ihm abwandten. Viele ohne oder mit unscheinbaren Begründungen. Bis ihn einmal folgendes Feedback erreichte:

„Weisst du, als ich dich kennengelernt habe, fand ich deine Art wirklich toll – wie du die Dinge positiv gesehen hast und es für dich scheinbar keine unlösbare Aufgabe gab. In der Zwischenzeit habe ich schon so oft erlebt, dass du Versprechen nicht gehalten und sich „Kein Problem“ als veritable Desaster herausgestellt haben. Das bleibt das Vertrauen auf der Strecke. Wenn du die Welt aus realistischer Sicht betrachtest, melde dich wieder bei mir.“

Das war sein Weckruf …

Ich bat ihn, für das erste Coaching konkrete Problemsituationen, die sich ereignet hatten, aufzuschreiben und diese Liste mitzubringen. Wir begannen damit, jede dieser Situationen zu reflektieren. Schritt für Schritt gingen wir sie noch einmal durch und hielten seine Art, Probleme anzugehen, und die daraus entstandenen Ergebnisse fest. Nun vollzogen wir dieselbe Situation aus «realistischer» Optik und stellten fest, welche Resultate mit einer wirklichkeitsnahen Denkhaltung erzielt worden wären.

Die Gegenüberstellung von „Sein“ und „Hätte“ war für meinen Klienten ernüchternd, öffnete ihm jedoch die Augen.

So gelang es ihm, Herausforderungen anzunehmen und mögliche daraus resultierende Folgen frühzeitig zu beurteilen. Er fixierte sich nicht nur auf die Chancen, sondern identifizierte auch mögliche Risiken. Durch diese realistische Betrachtungsweise erkannte er frühzeitig Gefahren und Herausforderungen. Dadurch leitete er die richtigen Schritte in die Wege und schaffte es so, Fehlern und Versäumnissen vorzubeugen.

Der ganze Prozess brauchte Zeit. Was über Jahre gewachsen ist, lässt sich nicht von einem Tag auf den anderen verändern. Da mein Klient jedoch in der Zwischenzeit auch gewillt war, sich selbst zu reflektieren, gelang es ihm, Rückschläge zu akzeptieren und sein Verhalten zu korrigieren. So wurde aus dem Zweckoptimisten allmählich ein realistischer Optimist. Die Veränderungen bemerkte mit der Zeit auch sein Umfeld und er gewann das verlorene Vertrauen wieder zurück.

Bei der Person, die ihn wachgerüttelt hatte, meldete er sich übrigens nach einigen Monaten – sie pflegen heute wieder einen freundschaftlichen Kontakt.